Die Automobilbranche steht vor einem tiefgreifenden Wandel, der maßgeblich von den Erwartungen der Kunden an moderne und nahtlose Kundenerlebnisse (Customer Experience) geprägt ist. Ein aktueller Bericht des Capgemini Research Institute zeigt die Herausforderungen, mit denen sich Hersteller und Autohäuser konfrontiert sehen.
Die ernüchternde Realität: Automobilbranche bei CX im Hintertreffen
Die Zahlen sprechen für sich: Mit einer Bewertung unter den letzten Plätzen in Bezug auf Kundenerlebnis (9. und 11. Platz von 13 Branchen) hinkt der Automobilsektor hinterher. Während führende Branchen wie der Einzelhandel und E-Commerce mit »sehr guten« Bewertungen von 61 Prozent bzw. 62 Prozent glänzen, erreicht die Automobilbranche lediglich 34 Prozent. Für viele Kunden bleibt der Besuch im Autohaus oder der Kontakt mit der Marke ihrer Wahl oft ein notwendiges Übel statt eines inspirierenden Erlebnisses.
Kundenerwartungen vs. Realität
Das größte Hindernis? Die Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Kunden und dem, was tatsächlich geboten wird:
- Kunden wünschen sich nahtlose Omnichannel-Erlebnisse. Sie möchten in der Lage sein, über eine App ein Fahrzeug zu konfigurieren, den Status ihrer Bestellung zu verfolgen und bei Bedarf direkt mit einem Verkaufsberater im Autohaus zu sprechen. Diese Integration bleibt jedoch oft nur ein Wunsch.
- Fast 75 Prozent der Kunden kritisieren, dass die Erfahrungen zwischen
verschiedenen Kanälen – sei es Webseite, App oder persönliche Beratung – nicht konsistent sind. Dies betrifft insbesondere die Buchung von Probefahrten oder Werkstattterminen, die oft nicht vollständig digitalisiert ist. - Obwohl 60 Prozent der Kunden personalisierte Angebote erwarten, setzen nur wenige Autohäuser gezielt auf datengetriebene Lösungen, um die Bedürfnisse ihrer Kunden zu verstehen und maßgeschneiderte Services anzubieten.
- Während der Fahrzeugverkauf gut organisiert ist, bleibt der After-Sales-Bereich, etwa bei Wartung oder Updates, oft hinter den Möglichkeiten zurück. Kundenbindung wird hier nicht ausreichend gefördert.
Die Konsequenz: Kundenbindung leidet, und potenzielle Einnahmen bleiben ungenutzt. Hier liegt ein enormes Verbesserungspotenzial. Neue Untersuchungen schätzen, dass Hersteller und Händler jährlich bis zu 150 Millionen USD durch abwandernde Kunden verlieren. Betriebe, die bereits in eine bessere CX investieren berichten dagegen, das sie bis zu 71 Millionen USD pro Jahr durch gesteigerte Kundenbindung und höhere Margen erzielen.
Die entscheidende Rolle von Autohäusern
Auch wenn Hersteller zunehmend auf Direktvertrieb und digitale Plattformen setzen, bleibt das Autohaus ein essenzielles Bindeglied zwischen Marke und Kunde. Wie wir in unserem aktuellen Trendreport feststellen konnten, bleibt das Autohaus der erste Ansprechpartner für Autokäufer. Doch dieser Status ist kein Selbstläufer. Autohäuser müssen sich auch 2025 weiterentwickeln und ihre Rolle als Berater und Service-Dienstleister neu definieren. Hier sind einige zentrale Herausforderungen und Chancen:
Digitalisierung als Schlüssel zu Konsistenz und Effizienz: Digitale Tools wie CRM-Systeme, Chatbots und KI-gestützte Assistenten können Prozesse effizienter gestalten und gleichzeitig ein persönlicheres Erlebnis bieten. Autohäuser, die diese Technologien nutzen, können ihre Kunden nicht nur besser verstehen, sondern auch gezielt ansprechen – von der ersten Anfrage bis zur Nachbetreuung.
Post-Purchase-Services als Wettbewerbsvorteil: Der Verkauf eines Fahrzeugs ist nicht das Ende der Kundenreise, sondern der Anfang. Wartungsangebote, Garantieverlängerungen und digitale Updates sind nicht nur Einnahmequellen, sondern auch entscheidend für die Kundenbindung. Autohäuser, die hier aktiv werden, können sich nachhaltig positionieren.
Die Kraft von KI und datenbasierten Lösungen: Während erst 15 Prozent der Automobilunternehmen KI umfassend nutzen, zeigt der Einsatz von Tools wie ChatGPT, Voicebots und datengetriebenen Infotainment-Systemen großes Potenzial. Diese Technologien ermöglichen es, Kundenbedürfnisse vorherzusehen und personalisierte Erlebnisse zu schaffen.
Mobilität neu denken: Vom Besitz zu Dienstleistungen
Ein weiterer Aspekt, der die Branche prägt, ist der Wandel vom klassischen Fahrzeugbesitz hin zu flexiblen Mobilitätslösungen. Abonnements, Carsharing-Modelle und datenbasierte Services wie die von Tesla oder NIO setzen neue Standards. Die Herausforderung für traditionelle Autohäuser besteht darin, diese Entwicklungen nicht nur zu beobachten, sondern in diesem Jahr aktiv mitzugestalten.
Die Ergebnisse der Capgemini-Studie unterstreichen die Dringlichkeit von Veränderungen. Wie können Autohäuser konkret handeln?
Omnichannel-Strategien priorisieren
Eine konsistente Customer Journey über alle Kanäle hinweg ist entscheidend. Kunden erwarten, dass Informationen nahtlos zwischen App, Website und Autohaus ausgetauscht werden können.
Technologie als Freund, nicht als Ersatz
Während digitale Tools Prozesse vereinfachen können, bleibt der persönliche Kontakt im Autohaus unverzichtbar. Der Schlüssel liegt in der Kombination von beidem.
Nachhaltigkeit und Werte in den Mittelpunkt stellen
Immer mehr Kunden legen Wert auf Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung. Autohäuser, die diese Themen glaubhaft in ihre Strategie integrieren, können sich abheben.
Die Zukunft des Autohandels wird durch eine hybride Herangehensweise bestimmt, bei der digitale und persönliche Erlebnisse nahtlos ineinandergreifen. Während Kunden sich in der Informations- und Entscheidungsphase zunehmend auf digitale Kanäle verlassen, bleibt der direkte Kontakt in der Beratung und beim Kauf weiterhin von zentraler Bedeutung. Entscheidend ist eine harmonische Customer Journey, die sowohl die Effizienz digitaler Prozesse als auch die Vertrauensbasis persönlicher Interaktionen miteinander verbindet.
Die Automobilbranche und der Autohandel haben großes Potenzial, das Kundenerlebnis neu zu definieren und sich als innovativer Dienstleister zu positionieren. Für Autohäuser ist jetzt die Zeit gekommen, ihre Prozesse zu überdenken und CX als strategisches Differenzierungsmerkmal zu nutzen. Die Kunden von heute verlangen mehr – und die Gewinner von morgen sind diejenigen, die diese Erwartungen übertreffen.